Artikel aus: FAZ.net vom 03.02.2021; Foto: TVN

„Lasst uns bald wieder auf die Plätze!“
Der neue Präsident des Deutschen Tennis Bundes (DTB), Dietloff von Arnim, über seinen Plan für die Zukunft, das schwere Erbe von Becker und Graf und warum sein Sport in der Corona-Krise Teil der Lösung und nicht des Problems ist.

Sie folgen als DTB-Präsident auf Ulrich Klaus, der seine Kandidatur für eine Wiederwahl kurzfristig zurückzog. Warum hatten Sie das Gefühl, dass der Verband einen neuen Impuls benötigt? Das deutsche Tennis ist gut aufgestellt, das Präsidium hat gute Arbeit geleistet. Aber wir haben verschiedene Stellschrauben, an denen wir etwas ändern müssen. Das ist zum einen die Struktur, wir müssen uns professioneller aufstellen. Viele hauptamtliche Tätigkeiten werden bei uns im Ehrenamt ausgeübt. Da liegt ein klarer Auftrag an uns als Team. Außerdem müssen wir für Datensicherheit sorgen und auch die Vermarktungssituation des DTB verbessern. Dafür haben wir ein Konzept erstellt, das letztlich die breite Zustimmung erhalten hat.

Sie waren Turnierdirektor beim World Team Cup, führen eine Werbeagentur. Inwiefern können Sie von diesen Erfahrungen profitieren? Mit meiner Agentur betreue ich vor allem mittelständische Kunden. Als Dienstleister, so wie wir uns als DTB auch aufstellen und verstehen müssen. Beim World Team Cup habe ich ein Team geleitet, mit Sponsoren gearbeitet und einfach versucht, das Turnier besser zu machen und darzustellen. Dadurch habe ich einen Tennis-Background gewonnen, zuletzt dann als Landespräsident Niederrhein weiteres Knowhow gesammelt. Das hoffe ich einbringen zu können.

Zu Ihrer Präsidiumsmannschaft gehören zwei Personen, die trotz der Wahl ihre Ämter als Präsidenten in Landesverbänden behalten. Dafür wurde eigens die Satzung geändert. Warum? Um unsere Ziele umzusetzen, brauchen wir die Mitarbeit der Landesverbände. Aus diesen heraus hat sich unser Team formiert. Unsere Arbeit wird auch weiterhin in den Landesverbänden und von der Mitgliederversammlung kontrolliert.

Die Ethikkommission des DTB hatte dennoch vor Interessenkonflikten gewarnt. Nehmen wir als konkretes Beispiel an, dass wir als Präsidium eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrags beschließen wollen. Dies würde in den Landesverbänden diskutiert und müsste dann durch den Bundesausschuss bestätigt werden. Das ist ein demokratischer Prozess, dem sich keiner entziehen kann. Ich sehe also die Kontrollfunktion als gegeben an.

Sie fordern unter anderem, dass der Tennissport in der Corona-Krise anders auftritt. Was haben Sie bisher vermisst? Wir müssen deutlicher herausstellen, dass Tennis ein Individualsport ist. Und als solcher muss er differenzierter betrachtet werden – anders als Mannschaftssport oder Kontaktsport etwa. Wenn ich gerade eine Firmenveranstaltung mit 60 Leuten auf 700 Quadratmetern durchführen durfte, ist nicht nachzuvollziehen, warum zum Beispiel auf einem Tennisplatz von 600 Quadratmetern nicht zwei Leute, teilweise sogar aus demselben Haushalt, spielen dürfen. Tennis ist Teil der Lösung und nicht des Problems.

Die Politik würde vermutlich dagegenhalten, dass es derzeit um die generelle Vermeidung von Kontakten geht. Also auch um die Anreise, die Umkleiden . . .. . . und damit bin ich absolut einverstanden. Wenn das das Risiko ist, können wir unseren Sport nicht ausüben. Aber wenn angefangen wird, den Sport zu öffnen, müssen wir den Individualsport und damit auch Tennis anders betrachten. Dafür setzen wir uns ein.

Am Montag beginnen die Australian Open. Für uns fast undenkbar: Es werden täglich bis zu 30 000 Fans dabei sein. Nimmt der Tennissport in Australien eine Vorreiterrolle ein, die Sie sich auch hier in Deutschland wünschen? Die Australier haben ihre Maßnahmen sehr rigide durchgesetzt. Auch den Tennisspielern gegenüber. Das ist in Deutschland und Europa schwer zu kopieren. Für den Profisport kann ich eine solche Rolle deshalb nicht fordern. Im Breitensport aber, da bleibe ich dabei: Wir können das. Das haben wir auch im April und Mai schon bewiesen. Deshalb ist mein Appell: Lasst uns bald wieder auf die Plätze!

Das deutsche Profi-Tennis war, angeführt von Angelique Kerber und Alexander Zverev, in der jüngeren Vergangenheit erfolgreich wie lange nicht. Trotzdem gehen die Mitgliederzahlen im DTB seit Jahren konstant zurück. Wurde eine Chance vertan?
Ich glaube, auch andere Sportarten hatten nach großen sportlichen Erfolgen im Profibereich beziehungsweise der Nationalmannschaften zuletzt nicht unbedingt einen Boom. Man hofft immer, dass den hohen Einschaltquoten die hohen Mitgliederzahlen folgen. Eine solche Korrelation herzustellen ist heutzutage jedoch unheimlich schwer. Allerdings haben wir einen großen Vorteil: Die Kinder, die Tennis spielen, haben nun Stars zum Anfassen und Angucken.

Zu Zeiten von Steffi Graf und Boris Becker gab es den Boom noch. Wiegt dieses Erbe heute schwer?
Man wird immer an der erfolgreichen Zeit gemessen. Das ist auch okay. Aber ich denke, das Tennis ist inzwischen auf einem guten Niveau angekommen. Auch mit den Einschaltquoten von Boris Becker kann man sich ja heute nicht mehr vergleichen. Weil die Fernsehlandschaft eine völlig andere ist. Deshalb müssen wir heute auch in unserer Verbandsarbeit von einer anderen Ausgangssituation ausgehen.

Becker gab im November sein Amt als Chef des deutschen Männertennis auf. Dem DTB ging damit viel Strahlkraft verloren. Sehen Sie mittelfristig eine Chance, ihn wieder einzubinden? Boris Becker hat im DTB – nach allem, was ich gehört habe – tolle Arbeit geleistet. Er hat sein Amt leider aus persönlichen Gründen aufgeben müssen. Der DTB steht aber weiterhin in gutem Kontakt mit ihm. Und sollte Boris Becker irgendwann in eine Funktion zurückkehren wollen, wäre der DTB schlecht beraten, dies nicht zu ermöglichen.

Alexander Zverev hat zudem gerade angekündigt, in Deutschland künftig präsenter sein zu wollen. Sehen Sie da ebenfalls Nachholbedarf für ihn? Ja, sehe ich auch. Aber es ist schwierig für ihn. Er ist auf einer internationalen Tour unterwegs. Seinen Wunsch, den Fokus stärker auf Deutschland zu legen, finde ich aber prima. Er hat selbst gemerkt, dass er da noch mehr machen kann. Er ist ein toller Tennisspieler und Typ. Und sollte er vom DTB in irgendeiner Form Unterstützung gebrauchen können, wird er die natürlich bekommen. Ich werde in jedem Fall auf ihn zugehen.

Insgesamt kehrt derzeit das Spitzentennis vermehrt zurück nach Deutschland. Es gibt zwei neue WTA-Turniere in Berlin und Bad Homburg, es gab zuletzt ein Doppelevent in Köln. Herrscht Aufbruchsstimmung? Man spürt, dass man diese Tennisevents wieder in Deutschland haben möchte. Sie funktionieren einfach gut. Vielleicht hat man in Deutschland davor etwas verschlafen. Aber man sieht eben auch in anderen Sportarten, etwa der Formel 1, dass andere Städte und Länder immer aggressiver in den Sportkalender drängen. Sie nehmen viel Geld in die Hand, um sich international bekannter zu machen. Das ist bei uns manchmal nicht ganz so einfach.

König Fußball ist in Deutschland die Nummer eins und wird es wohl auch bleiben. Welche Rolle wünschen Sie sich für den Tennissport? Was die Mitgliederzahlen angeht, sind wir hinter dem Fußball und dem Turnen die Nummer drei. Mit knapp 1,4 Millionen Mitgliedern. Diese Position haben wir in den vergangenen Jahren gehalten, und ich bin zuversichtlich, dass wir sie auch zukünftig halten werden. Es gibt sogar die ersten Landesverbände, die steigende Mitgliederzahlen melden. Der Negativtrend scheint gestoppt. Ich bin zuversichtlich, dass wir dieses zarte Pflänzchen des Wachstums in den nächsten Jahren stärken können.

Die Fragen stellte Pirmin Clossé